Roter Sand EBook by Martina Sevecke-Pohlen

Autor:Martina Sevecke-Pohlen [Sevecke-Pohlen, Martina]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Krimi, Regionalkrimi, Geest, Meer, Mord, Norddeutschland, Wardenburg, Oldenburg, Ostfriesland
Herausgeber: Wieken-Verlag
veröffentlicht: 2015-05-15T16:00:00+00:00

21. Kapitel

Sandras Geschichte, wie es zu dem tragischen Unfall gekommen war, ging mir nicht aus dem Kopf und löste heftige und widersprüchliche Emotionen aus. Einige Tage mied ich Sandra deswegen. Es war nicht schwer, sich aus dem Weg zu gehen. Nach Wochen der Hitze regnete es. Die Gärten lagen wie ausgestorben, während das ausgedörrte Gras allmählich wieder grün schimmerte. Türen und Fenster blieben geschlossen, um die Wärme, die man so lange hatte heraus lüften wollen, in den Räumen zu halten. Am Donnerstagabend hatte Heidi die Heizung angeschaltet. Ich lachte sie deswegen aus. Andere Gründe zum Lachen sah ich nicht.

Doch all die Tage, in denen ich sie nicht traf, kreisten meine Gedanken um Sandra und den unglaublichen Hass, den jemand für diese Frau und ihre gesamte Familie empfinden musste. Mehr als einmal wollte ich Harry Meinert anvertrauen, weshalb Sandra ihre Beziehung beendet hatte. Jedes Mal ließ ich davon ab. Wenn ich mir die Frage nach meiner Motivation für die Mitteilung stellte, kam ich nur auf das sentimentale Bild zweier wiedervereinter Seelen.

Aber nach all den Jahren vergoss Harry keine Tränen mehr wegen Sandra Menserhagen. Er war verheiratet, würde demnächst Großvater werden und hatte Sandra überwunden wie andere Kinderkrankheiten auch. Es würde ihm eher schaden, müsste er erkennen, seine frühere Freundin, wenn auch unwissentlich und auf deren Wunsch hin, in einer Notsituation allein gelassen zu haben. Diese Erkenntnis glaubte ich ihm ersparen zu müssen.

Heute meine ich, dass ich damals vielleicht gehofft habe, er werde die ganze Angelegenheit in die Hand nehmen, Sandra zur Polizei bringen und so ihre Erlösung von dem unbekannten Mann veranlassen. Dann hätte ich mich zurückziehen können und nichts mehr mit Sandra und auch nichts mehr mit dem Mann, der ihr und ihrer Familie so viel Leid bereitet hatte, zu tun gehabt.

Denn ich glaubte zu wissen, wer Sandra und ihre Familie hatte bestrafen wollen. Nur einer kam dafür in Frage. Mein Herz sank, wenn ich darüber nachdachte, denn diesen jemand hatte ich sympathisch gefunden. Trotzdem hoffte ich, Sandra dazu bewegen zu können, zur Polizei zu gehen.

Die war für solche Leute zuständig, das hatte ich vor sieben Jahren gelernt. Wie Sandra dazu stünde, wusste ich nicht. Meinem Gefühl nach wäre sie gegen eine Anzeige. Über zwanzig Jahre hatte sie Angst und Scham tief in sich unter Verschluss gehalten. Sich nach so langer Zeit Fremden zu öffnen, wäre sie nicht ohne Weiteres bereit. Doch um endlich von der Bedrohung befreit zu werden, müsste sie ihre Scham überwinden. Da schloss sich der Teufelskreis.

In dieser Woche mied ich nicht nur Sandra sondern alle Menschen. Sandra hatte sich verkrochen, vor der brauchte ich nicht wegzulaufen, Heidi war mit einem Gruß zu ihrem Balkon hinauf zufrieden, Bea meldete sich nicht.

Harry trat zudem im Badezimmer auf eine Wespe und wurde wegen des allergischen Schocks krankgeschrieben. Ich durfte ausdrücklich seine Arbeit übernehmen, was ich gerne tat, denn so wurden meine Gedanken in dienstliche Bahnen gezwungen. Ein Wohnungsangebot für die alte Frau Thamke flatterte herein. Am liebsten hätte ich den Kontakt aufgeschoben, damit Harry nach seiner Genesung zu Thamkes fahren könnte.

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